Der Bau

Südwestliche Fassade des Einsteinhauses. Das Ende der Querbalken ist zu sehen.
Südwestliche Fassade. Enden der Querbalken

In den folgenden Wochen präsentierte die Stadt über ein Dutzend Grundstücke. Wachsmann lehnte sie alle ab, sei es, weil sie schlecht erreichbar waren (ein Grundstück war nur durch den Schuppen eines Nachbarn zu betreten), sei es, weil sie zu laut oder zu klein oder zu schlecht gelegen oder von Ungeziefer befallen waren. Noch während der vergeblichen Suche nach einem Bauplatz, gab es neue Schwierigkeiten. Böss musste sein vollmundiges Versprechen ein Stück weit zurücknehmen: Die Stadt könne lediglich das Grundstück kaufen; das Haus müsste der Beschenkte dann selbst finanzieren. Da die bisherigen Angebote nicht ihren Vorstellungen entsprochen hatten, schlug Wachsmann der Stadt vor, dass die Einsteins selbst nach einem Grundstück suchen und die Stadt die entstehenden Kosten übernehmen solle.

In der Zwischenzeit hatte Wachsmann neue Pläne vorbereitet. Sie zeigten das Traumhaus eines jungen, von der deutschen Nachkriegsarchitektur beeinflussten Architekten: flache Dächer, große Fenster, klare Linien. Als Einstein sie sah, reagierte er allerdings weniger enthusiastisch. Er wollte einen Ort der Geborgenheit, keine Kunstausstellung, die „wie ein Karton mit riesigen Schaufenstern“ aussähe. Aber es ging um mehr als nur ästhetische Bedenken. Einstein bezweifelte auch den praktischen Nutzen des Entwurfs. „Können Sie sich eine Kathedrale mit einem Flachdach vorstellen?“ fragte er – und fuhr dann fort: ein Segelboot dagegen, das besitze zweifellos praktischen Nutzen. Und übrigens: Ob Wachsmann denn Lust hätte, segeln zu gehen? Zwei Wochen später fuhr der Architekt nach Caputh, wo Einstein nicht nur Freunde, sondern auch Zugang zu einem Segelboot hatte. Obwohl Wachsmann am Tag zuvor überarbeitete Baupläne in Berlin abgeliefert hatte, sprachen sie nicht über das Haus. Erst als sie wieder das Ufer erreicht hatten, erwähnte Einstein (sichtlich unangenehm berührt), dass er einen Brief an Böss geschickt und das Angebot der Stadt abgelehnt habe. Wachsmann war entmutigt: Ohne die Unterstützung der Stadt würden die Einsteins nicht bauen. Um sich zu trösten, fuhr er für ein langes Wochenende nach Paris, das er bereits aus seiner Studentenzeit kannte.

Doch während Wachsmann in Paris war, betrachtete Einstein eingehend die revidierten Pläne. Sie offenbarten zwei verschiedene Auffassungen. Ein Teil des Hauses entspricht deutlich den Wünschen Einsteins: ein Holzhaus mit einem Ziegeldach. Um den Eindruck eines Blockhauses zu erzielen, ließ Wachsmann die Enden der Querbalken zwischen den Stockwerken über die Fassade hinausragen. (Ihre rein dekorative Funktion – anders als bei Blockhäusern gehen die Balken eigentlich nicht durch – erfüllte den Zweck vollkommen. Besucher und Historiker halten das Haus oft für ein richtiges Blockhaus.) Der andere Bereich besteht in Anlehnung an den modernen Stil von Wachsmanns zweitem Entwurf aus einem Flachdach-Würfel. Französische Fenster ersetzen die großen „Schaufenster“, und das für unpraktisch befundene Flachdach wurde in eine große, offene Terrasse umfunktioniert. Nachdem er die Pläne einige Stunden begutachtet hatte, fragte Einstein Elsa, wie viel Geld sie auf der Bank hätten. Auf ihre Gegenfrage, warum er das wissen wolle, sagte er, „Ich möchte dieses Haus und werde es wohl auch bezahlen müssen!“

Jetzt hatten die Einsteins das Haus; was sie noch brauchten war das Grundstück. Abhilfe schufen hier Freunde, die von der Suche gehört hatten und anboten, einen Teil ihres Landes in Caputh zu verkaufen. Auf einer Anhöhe am Rande des Waldes gelegen, überblickte das Grundstück den Templiner See und war nur zehn Minuten Fußmarsch vom Bootssteg entfernt. Wachsmann befürwortete den Kauf, riet Einstein aber auch zum Erwerb eines angrenzenden 11 x 23 Meter großen Landstücks entlang des Waldweges, das dem Staat Preußen gehörte. So ließe sich das Grundstück einfacher erreichen und, da es höher gelegen war, sei die Aussicht zudem besser. Einstein besichtigte das Grundstück und beschloss noch am selben Tag, es zu kaufen.

Nun hatte er auch das Land und dennoch waren noch nicht alle Probleme gelöst. Obwohl Böss das Angebot der Stadt erneuerte, stellte sich bald heraus, dass er laut Gesetz gar keine Befugnis dazu hatte. Erst musste ein Antrag auf die nötigen 20.000 Reichsmark zum Erwerb des Landes bewilligt werden. Was zunächst einzig und allein eine Entscheidung von Böss war, wurde nun zu einer Angelegenheit der gesamten Stadtverordnetenversammlung. Wie nicht anders zu erwarten, stieß der Antrag auf Widerstand. Es war ein großzügiges und beispielloses Geschenk der Stadt, und das sollte in einer zunehmend antisemitischen Zeit ein Jude erhalten? Am 14. Mai berichteten die Berliner Zeitungen, dass Einstein das Geschenk in einen Brief an Böss dankend abgelehnt habe – zum zweiten Mal. Das Leben sei zu kurz und die Angelegenheit seines Ehrengeschenkes habe ihm schon zu lange gedauert, als dass er es jetzt noch annehmen könne, schrieb Einstein. Der Bürgermeister versuchte, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, doch Einstein ließ sich nicht umstimmen- vielleicht aus Angst, weiter antisemitische Gefühle zu schüren, vielleicht aus Stolz, vielleicht, weil er als ausgewiesener Sozialist ohnehin seine Schwierigkeiten hatte, ein Stück Land als Geschenk des Staates zu akzeptieren. Er würde das Haus ohne die Hilfe der Stadt bauen – so ließ er Wachsmann wissen -,  selbst wenn er hungern müsste.

Am 12. Mai zeichnete Einstein die Bauunterlagen ab, offiziell schloss er den Vertrag mit Christoph & Unmack. Am gleichen Tag beantragte Wachsmann die Baugenehmigung, die Mitte Juni erteilt wurde. Die endgültigen Pläne sahen zwei Veränderungen vor: Wachsmann nutzte das Gefälle des Grundstücks, um einen Teil des Kellers in eine überdachte Gartenterrasse zu verwandeln; an heißen Tagen sollte sie Schatten spenden. Außerdem versetzte er ein Fenster in Einsteins Zimmer von der südöstlichen zur südwestlichen Wand, so dass Einstein auf den See blicken konnte.

Während vor Ort das Fundament des Hauses gelegt wurde, errichteten die Arbeiter bei Christoph & Unmack im Juli das Holzgerippe des Hauses in einer der großen, firmeneigenen Industriehallen. Sobald die Ingenieure sicher waren, dass die Konstruktion stimmt, wurde sie wieder auseinandergenommen, zusammen mit den restlichen Baumaterialien verpackt und nach Berlin versandt. Auf der Baustelle selbst benötigten die Arbeiter lediglich zwei Wochen für den Rohbau und die Verkleidung der Fassade, weitere zwei Wochen für den Innenausbau, und im September waren die Einsteins bereits eingezogen. Vier Wochen später schrieb Einstein an seine Schwester, „In dem neuen Holzhäuschen gefällt mirs großartig. Trotz der durch dasselbe erzeugten Pleite. Das Segelschiff, die Fernsicht, die einsamen Herbstspaziergänge, die relative Ruhe, es ist ein Paradies.“

Bauzeichnung der Südfassade