Der Architekt

Konrad Wachsmann auf der Terrasse des Einsteinhauses, 1929
Konrad Wachsmann auf der Terrasse des Einsteinhauses, 1929
Blick von der Dachterrasse auf Caputh
Blick von der Dachterrasse auf Caputh

Wachsmann war als außergewöhnlich schlechter Schüler im Alter von vierzehn Jahren von der Schule abgegangen. Er begann eine Ausbildung zum Zimmermann, doch als die Zahl der Kriegsopfer in die Höhe schnellte und seine Werkstatt statt Möbeln bald nur noch Särge herstellte, wurde seine Lehre sehr einseitig. Obwohl er intelligent und einfallsreich genug war, um später von der Berliner Kunstgewerbeschule aufgenommen zu werden, wurde er doch schnell durch das Leben in der Großstadt abgelenkt. Wachsmanns Familie, besorgt ihr Sohn könnte seine Bildung vernachlässigen, vermittelte ihm daher einen Studienplatz bei dem Architekten Heinrich Tessenow in Dresden. Obwohl sein erstes Jahr dort durchaus erfolgreich war, hielt es ihn aber nicht in der sächsischen Hauptstadt, denn er suchte das „Revolutionäre“ – und das war nur in Berlin zu finden. Er brach sein Studium mitten im Semester ab und kehrte in die Metropole zurück, wo er sich einen Ausbildungsplatz bei dem Architekten Hans Poelzig sicherte. Ein Jahr später flüchtete er erneut, zuerst nach Holland, dann nach Paris. Als er schließlich einige Monate später mittellos und verzweifelt aus Frankreich zurückkam, rettete ihn sein alter Lehrer Poelzig, der mittlerweile zum Direktor von Christoph & Unmack berufen worden war und ihm eine Stelle anbieten konnte.

An diesem Punkt seines unsteten Weges stand Wachsmann nun, als er von Einsteins Wünschen erfuhr. Noch am selben Morgen bestieg er einen Zug nach Berlin. Er beauftragte einen Chauffeur der Berliner Niederlassung von Christoph & Unmack, ihn zu Einsteins Wohnung in die Haberlandstraße 5 zu fahren. Die Adresse hatte er aus dem Telefonbuch.

An der Tür wurde er von Elsa Einstein kühl empfangen. Ihr Mann sei nicht zu Hause, was er denn wolle? Seit Einstein ein berühmter Mann geworden war, erschienen alle möglichen Leute, um Geld zu erbitten oder ihre Dienste anzubieten, und Elsa erwartete einen weiteren Scharlatan. Durch eine Mischung aus Bluff (er sei ein freiberuflicher Architekt, dessen Privatchauffeur draußen warte) und Chuzpe (es gebe keinen Architekten, der sich so wie er mit dem Bau von Holzhäusern auskenne), überzeugte Wachsmann sie vom Gegenteil.

Noch am selben Tag machten sich Elsa und er auf den Weg, um das jüngste Angebot der Stadt zu besichtigen. Auf der Fahrt erklärte Elsa, was sie und ihr Mann suchten: ein Haus mit französischen Fenstern, Terrassen und einem dunkelroten Ziegeldach. Abgesehen vom Wohnzimmer, das einen Kamin haben müsse, sollten alle Räume des Hauses klein sein. Ebenso wichtig war, dass Einsteins Zimmer weit ab von allen anderen gelegen war. Einstein brauchte stille Abgeschiedenheit für seine Arbeit – und seine Familie brauchte stille Abgeschiedenheit von Einsteins Schnarchen.

Wachsmann solle am nächsten Tag wiederkommen und die Details mit dem Hausherrn persönlich besprechen. Fest entschlossen, die Einsteins für sich zu gewinnen und möglichen Konkurrenten zuvorzukommen, begann Wachsmann bereits im Zug zurück nach Niesky mit der Arbeit an den Entwürfen, die er nach einer durchwachten Nacht am frühen Morgen des nächsten Tages fertig hatte. Ein Team aus zehn Ingenieuren und Zeichnern von Christoph & Unmack stellte daraus dann umgehend ordentlich gezeichnete Baupläne her, und um ein Uhr mittags saß er bereits wieder im Zug nach Berlin.

Bei seinem zweiten Besuch in der Haberlandstraße 5 wurde Wachsmann von Elsa herzlich begrüßt. Sie stellte ihn Einstein vor, zeigte ihm die Wohnung und lud ihn dann zu einem gemeinsamen Abendessen, an dem auch Elsas Tochter Margot und Einsteins Sekretärin Helen Dukas teilnahmen, ein. Und erst als der Tisch abgeräumt war, ging Einstein zum Geschäftlichten über. Was er von dem Grundstück halte? Wachsmann riet davon ab (es befand sich neben einem Motorbootverein), erklärte jedoch, dass er dennoch erste Baupläne entworfen habe. Die detaillierten Pläne, Berechnungen und Baubeschreibungen, die er nun auf dem Esstisch ausbreitete, überraschten die Einsteins. So viel Arbeit konnte er unmöglich allein und ohne Vorwissen in so kurzer Zeit geleistet haben. Um ihr Vertrauen zurückzugewinnen, musste Wachsmann ihnen alles erzählen: wie er über den Artikel gestolpert war, wie er vorgegeben hatte, ein freiberuflicher Architekt zu sein und wie er die vorangegangenen Nacht durchgearbeitet hatte. Einstein konnte nicht anders: Er musste lauthals lachen.

Aufgrund seiner dreijährigen Erfahrung mit technischen Zeichnungen im Berner Patentamt war Einstein in der Lage, die Pläne mit dem geschultem Auge eines Experten zu studieren. Was er sah, gefiel ihm. Während der nächsten Stunden besprach man die Details. Ein wichtiges Thema war das Baumaterial. Wie jeder wusste, bevorzugte Einstein Holz. Elsa dagegen bestand auf Stein. Einstein dachte, ein Holzhaus sei gemütlicher und würde besser mit der Umgebung harmonieren, während Elsa überzeugt war, dass ein Steinhaus solider und weniger feuergefährdet sei. Wachsmann schlichtete den Disput mit pragmatischen Argumenten: Ein Steinhaus sei im Vergleich teurer und seine Wände böten gegen ein im Innenraum des Hauses ausbrechendes Feuer keinen Schutz. Holzhäuser seien außerdem leichter zu bauen und den Wünschen des Kunden besser anzupassen. Und man könne – anders als bei den damaligen Steinhäusern – sofort nach der Fertigstellung einziehen.